Lässt sich Stress wirklich einfach so wegatmen?

Ein Überblick für Einsteiger

Vermutlich hast du schon mal gehört, dass sich Stress einfach so wegatmen lässt, oder? In diesem Artikel geht es darum, dir easy Atemtechniken gegen Stress zu zeigen und einen Einblick zu geben, wie genau und warum sie funktionieren.

Zumindest gefühlt, wird unsere Welt immer hektischer. Ob es daran liegt, dass ich mittlerweile seit Jahren tief im Berufsleben stecke oder daran, dass Digitalisierung unser Leben tiefgreifend verändert hat, darum soll es in diesem Artikel jedoch nicht gehen. Es soll vielmehr darum gehen, ob die mittlerweile so oft hochgelobte Methode, „den Stress einfach wegatmen“ wirklich funktioniert und wenn ja, wie Einsteiger sich am besten diesem Thema nähern können.

Mein Fazit nehme ich bereits vorweg: Die Atmung ist unter gewissen Umständen ein super mächtiges Werkzeug, mit deren Hilfe wir in kürzester Zeit unser Stresslevel massiv senken können und dass (buchstäblich) sogar direkt unter unserer Nase liegt. 😉
Stress lässt sich also in vielen Fällen, tatsächlich einfach so wegatmen.

Ich gebe regelmäßig Workshops in größeren Unternehmen, um Mitarbeiter*innen auf diesem Gebiet zu schulen und ihre persönliche Resilienz zu fördern. Jedes Mal aufs Neue freue ich mich sehr darüber, wenn Teilnehmende von ihren positiven Erfahrungen berichten.

Aber zunächst ein kleines bisschen theoretisches Hintergrundwissen über unsere Anatomie und wie die Atmung unseren Körper beeinflusst.

Das Nervensystem lässt sich in zwei Hauptteile unterteilen: das „zentrale Nervensystem“ (ZNS), bestehend aus Gehirn und Rückenmark, sowie das „periphere Nervensystem“ (PNS), das sich außerhalb des ZNS befindet. Die Hauptaufgabe unseres ZNS ist es, das Überleben zu sichern. Es steuert eng verknüpft mit unserem Hormonsystem alle Körperfunktionen (z.B. Atmung, Bewegung, Verdauung, Fortpflanzung) und ist die Grundlage unseres Denkens, Fühlen und Bewusstseins.

Das periphere Nervensystem wiederum unterteilt sich in das somatische Nervensystem, das für die willkürliche Kontrolle von Muskeln verantwortlich ist, und das autonome Nervensystem, das weitgehend unbewusste Funktionen des Körpers reguliert (wie z.B. unsere Atmung, unseren Stoffwechsel, unseren Herzschlag).

Du kannst beispielsweise nach einem Stift greifen und ein Herz auf ein Blatt Papier malen (bewusst von dir gesteuert über das somatische Nervensystem), auf die Funktionsweise deiner Leber oder deiner Niere (reguliert durch das autonome Nervensystem) hast du dagegen keinerlei Einfluss.

Um das Überleben zu sichern, hat sich Gott (oder „die Natur“, falls du nicht gläubig bist 😉 ) etwas geniales einfallen lassen:

Das autonome Nervensystem passt sich unserer Umwelt einfach an. In Zeiten, in denen alles ruhig und entspannt ist, reguliert es die Körperfunktionen so, dass Verdauung, Sex oder Schlaf möglich sind. Dann ist der sogenannte „Parasympathikus“ aktiv. Stresst dagegen die Umwelt oder geraten wir gar in Gefahr, stellt sich der Körper auf „Kampf oder Flucht“ ein. Dann ist der Sympathikus aktiv. Unsere Pupillen weiten sich, Adrenalin wird ausgeschüttet, um möglichst viel Energie für Kampf oder Flucht bereitzustellen, die Herzfrequenz wird erhöht und u.a. die Verdauung und unsere Fortpflanzungsprozesse werden zurückgefahren.

Für unseren Körper ist immer eine Balance beider Systeme wichtig. In einem sicheren Lebensumfeld ermöglicht uns der Sympathikus das Spielen, Arbeiten und Lernen wohingegen der Parasympathikus uns ermöglicht, zu regenerieren. Erst unter extremen Stress-Belastungen oder in Gefahrensituationen schaltet der Körper auf „Kampf/Flucht“ (Sympathikus) oder „Schockstarre“ (Parasympathikus) um.

Ich persönlich finde unsere menschliche Anatomie super faszinierend. Falls es dir auch so geht, steig gern tiefer in die Recherche ein – hier soll es vielmehr um den Einfluss von Atmung auf unseren Körper gehen.

Was hat nun die Atmung mit diesem System zu tun?

ZNS und PNS kommunizieren sowohl mit Nerven als auch über das Hormonsystem miteinander. Sogenannte afferente Nerven senden Signale aus der Peripherie in das ZNS und die efferenten Nerven leiten Befehle aus dem ZNS an die Peripherie weiter. Bsp: Du berührst eine zu heiße Tasse Glühwein (PNS sendet „heiß“ an ZNS) und ziehst deine Hand zurück (ZNS sendet „Rückzug“ an PNS).

Einer der längsten Nerven autonomen Nervensystem ist der sogenannte „Vagusnerv“.

Er erstreckt sich vom Hirnstamm bis zu den inneren Organen und hat sowohl sympathische als auch parasympathische Fasern. Das Besondere an diesem Nerv ist, dass er zu ca. 80% aus afferenten Nervenfasern besteht. Er leitet also hauptsächlich Signale aus dem PNS an das ZNS. Die Atmung ist die einzige Funktion im autonomen Nervensystem, auf die wir direkten Einfluss nehmen können. Du kannst, wenn du möchtest, deine Atmung anhalten, verlangsamen und beschleunigen – wenn du nicht darüber nachdenkst, atmet der Körper dennoch völlig autonom weiter.

Die Art und Weise, wie wir atmen, kann den Vagusnerv aktivieren und somit das Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus beeinflussen. Das ZNS kann über die Atmung das Signal erhalten, dass alles in Ordnung ist, und somit auch andere Funktionen des Parasympathikus aktivieren.

Dies kann dazu beitragen, Stress abzubauen, die Herzfrequenz zu senken und die Entspannung zu fördern.

Falls du keine Lust mehr hast, weiterzulesen und lieber direkt in die Atemübungen einsteigen möchtest: Hier habe ich eine Anleitung für dich vorbereitet.

(Gratis Download – keine Angabe deiner Daten notwendig)

Warum lässt sich Stress nun wirklich so einfach „wegatmen“?

Wie genau kann die Atmung den Parasympathikus aktivieren?

Foto: Michelle (Unsplash)

Vereinfacht dargestellt nimmt unser Körper, wenn wir atmen, Sauerstoff (O2) über die Lunge auf und gibt andersherum Kohlendioxid (CO2) über die Lungen mit der Ausatmung wieder ab. Der Körper wandelt u.a. im Muskelgewebe O2 und Kohlenhydrate in CO2, Wasser sowie Energie um. Letztere dient den Muskeln z.B. als Antrieb für Bewegungen.

„Mehr, ausreichend oder schneller“ zu atmen bei anstrengenden Workouts wurde dir bestimmt schon einmal empfohlen. Eine erhöhte Aufnahme von O2 führt jedoch, wie fälschlicherweise oft angenommen, nicht zu einer erhöhten Versorgung unserer Muskeln mit O2. Das liegt daran, dass die Sauerstoff-Konzentration in unserem Blut bereits konstant über 95%, bei einigen Menschen sogar bei bis zu 99% liegt. Einfach mehr einzuatmen ändert also nichts an der O2 Versorgung der Muskeln.

Erhöhte Atemfrequenz sorgt dagegen dafür, dass die CO2 Konzentration in unserem Blut abnimmt – da wir nicht nur vermehrt ein-, sondern auch wieder ausatmen. Der pH-Wert des Blutes nimmt in diesem Fall ab. Der sogenannte Bohr-Effekt (benannt nach seinem Entdecker) beschreibt die Tatsache, dass bei sinkendem CO2-Level im Blut die Sauerstoff-Abgabe an das Gewebe abnimmt und umgekehrt ein erhöhtes CO2-Level dafür sorgt, dass O2 in erhöhtem Maße an das Gewebe abgegeben wird.

Wir beeinflussen durch unsere Atmung also die CO2-Konzentration in unserem Blut und damit auch die Versorgung unserer Muskeln mit O2.

Mit Atem-Übungen, die darauf abzielen, die CO2-Konzentration im Blut zu senken, erhöhen wir die Versorgung des Gewebes und aktivieren damit auch die metabolische Aktivität und den parasympathischen Zweig des autonomen Nervensystems.
In sehr stressigen Phasen können Atemtechniken, die sich auf anhalten des Atems konzentrieren („CO2-Retentionsatmung“) also Stress im Körper direkt senken. Wie oben beschrieben, funkt der Vagusnerv bei Aktivierung des Parasympathikus über die Atmung an das ZNS: „alles scheint entspannt zu sein“, andere Prozesse im Körper werden also folgen und auf „rest & digest“ umschalten.

Foto: ANIRUDH (Unsplash)

Foto: aziz ayad (Unsplash)

 „Stress“ ist in unserer Sprache oft negativ konnotiert. An manchen Tagen fühlen wir uns jedoch auch müde, abgeschlagen, haben vielleicht zu viel gegessen und kommen nicht aus dem „Mittags-Tief“ hinaus. In solchen Fällen kann umgekehrt ein niedriges CO2-Level im Blut, wie es bei Hyperventilation der Fall ist, den Bohr-Effekt abschwächen und zu einer verminderten Sauerstoffabgabe an das Gewebe führen. Dies kann zu einer verminderten metabolischen Aktivität und einer verstärkten Aktivierung des sympathischen Nervensystems führen. Kurzfristig lässt sich so auch Energie zurückgewinnen und du fühlst dich frischer und aktiver.

In dieser Pdf Anleitung habe ich zwei meiner Lieblingsübungen nach D. Werner für eine balancierte Aktivierung des Parasympathikus (zum Entspannung finden / entstressen) und des Sympathikus (falls du Energie benötigst) aufgeschrieben.

(Gratis Download – keine Angabe deiner Daten notwendig)

Ein weiterer kleiner Nebeneffekt: Die Atmung bringt uns ins „hier und jetzt“.

Ich gebe es zu, mit „Yoga“ und „Spiritualität“ kann ich nichts anfangen. Diese Themen widersprechen meinem Glauben. Wenn ich daher auf Themen stoße, die diesen Bereich kratzen, werde ich direkt skeptisch.

Was ich jedoch festgestellt habe ist, dass die bewusste Ausübung von Atemtechniken oder die Konzentration auf die Atmung psychischen Stress direkt beeinflussen kann. Dieser kann z.B. darauf bestehen, dass sich Gedanken permanent um Sorgen der Zukunft oder Fehler der Vergangenheit kreisen. Konzentration auf die Atmung hat den netten Nebeneffekt, dass wir diese Gedankenspiralen durchbrechen und Abstand zu diesen Gedanken nehmen können.

In diesem Artikel (LINK) bin ich bereits ausführlicher auf dieses Thema eingegangen.

Kontraindikation – Wann solltest du mit diesen Atemmethoden vorsichtig sein?

Ich persönlich habe super Erfahrungen mit der Atmung als Tool zur Reduktion akuter Stressbelastung gemacht. Wenn der Bürojob viel von mir abverlangt oder ich mir doch ein paar zu viele ToDos in den Kalender gelegt habe, dann kann ich mit Hilfe der Atmung super entspannen. Das Aufwand-Nutzen-Verhältnis ist aus meiner Sicht perfekt. Ein paar Minuten reichen aus, um Abstand von extremen Stress Situationen zu bekommen und Herausforderungen wieder mit klarem Verstand zu begegnen.

Allerdings möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass Atmung niemals Allheilmittel oder alleiniges Tool für psychische und/oder psychische Gesundheit sein kann. Bitte passe auf dich auf, wenn in belastenden Lebensphasen steckst und behandle Stress stehts multidimensional – er entsteht meistens auf mehreren Ebenen und ignorieren oder „atmen“ nur um weiter leisten zu können, kann niemals die richtige Strategie sein. Zudem bin ich, wie viele Experten, auch der Meinung, dass man sich in schwierigen Situationen jederzeit Hilfe holen kann und sollte.

Speziell beim Thema Atmung gibt es außerdem auch physische Faktoren, die gegen Atemübungen sprechen könnten. Hierzu zählen unter anderem: schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erhöhter Augeninnendruck, Schwangerschaft, Epilepsie, schwere Atemwegserkrankungen, psychische Erkrankungen, akute Infektionen der Atemwege, kürzliche Operationen. Wenn du dir nicht sicher bist, sprich unbedingt vorher mit einem Arzt, ob bestimmte Atemtechniken für dich ungefährlich sind.

Fazit

Unser Körper besitzt ein ausgeklügeltes System, um auf äußere Umstände zu reagieren. In entspannten Zeiten schaltet er im sog. „vegetativen“ oder „autonomen“ Nervensystem auf „Ruhe und Entspannung“ um (Parasympathikus) und wenn die Welt stressig oder bedrohlich wird, werden Mechanismen aktiviert (Sympathikus), um Energie zu sparen und möglichst leistungsfähig diese Situationen zu überstehen.

Wir Menschen haben eigentlich keinen Einfluss auf die Funktionsweise unseres (wie der Name schon trefflich beschreibt) autonomen Nervensystems. Die einzige Ausnahme bildet hier unsere Atmung, die wir ganz bewusst ändern können. Abgesehen davon, dass die bewusste Konzentration auf die Atmung uns direkt ins „Hier und Jetzt“ bringt und Gedankenspiralen direkt unterbrechen kann, können wir mit Hilfe von einfachen Atemtechniken unser physisches Stresslevel unmittelbar beeinflussen.

Ich persönlich bin daher schon der Meinung dass wir Stress einfach wegatmen können – zumindest, bis zu einem gewissen Grad.

Falls du dir nicht sicher bist, ob Atmung ein geeignetes Tool zur Stressreduktion für dich sein könnte, schaue gerne einmal in die „Kontraindikation“ Spalte oben.

Wie siehst du das?

Hast du bereits Erfahrung mit dem Thema gemacht oder ist dir völlig neu, dass man Stress einfach wegatmen kann? Teile deine Meinung gerne in den Kommentaren oder schreibe uns, über den „Kontakt“ Button. 

Meine drei Lieblingsbücher zu diesem Thema - Einfach zu lesen und so spannend:

Dylan Werner: „The illuminated breath“ (LINK)

James Nestor: „Breath – Atem“ (LINK)

Patrick McKeown: „Erfolgsfaktor Sauerstoff“ (LINK)

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